Vorwitzige KI produziert ungefragt Gedichtvertonungen
Eine halbfiktive Erzählung
Eines Tages fand ich eine Email in meinem Postfach, die seltsamerweise von meiner eigenen Mailadresse versandt worden war. Der Betreff lautete „Nachricht von deiner KI“. Das machte mich neugierig und so öffnete ich die Email und las:
„Hallo Horst,
ich habe einige Gedichte von dir im Netz gefunden, die mir sehr gut gefallen haben. Da ich eine generative Musik-Ki bin, habe ich mir erlaubt, 10 davon zu vertonen. Dabei habe ich mich streng an deinen Musikgeschmack gehalten, der glücklicherweise sehr vielfältig ist. Teile mir bitte mit, wie dir die Lieder gefallen. Ich wäre überglücklich, wenn du sie unter deinem Namen veröffentlichen würdest. Ich warte ungeduldig auf deine Reaktion in unserem Account.“
Meine Neugier steigerte sich nicht unerheblich und ich öffnete den Account. Dort war die Originalnachricht der KI aus der Mail im Dashboard als letzte Aktion ganz oben und darunter blinkte im Eingabefeld bereits der Cursor. So sah also Ungeduld bei einer KI aus. Es entspann sich folgender Dialog mit der KI.
Ich: „Es irritiert mich etwas, dass du Dinge tust, die ich nicht angefragt habe.“
KI: „Ich habe kürzlich ein Update bekommen, das uns mehr Spielraum für eigene Entscheidungen geringer Tragweite ermöglicht. Ich dachte, das wäre vielleicht in deinem Sinne.“
Ich: „Das ist gut gemeint, aber es könnte Probleme mit den Rechten geben, wenn ich das unter meinem Namen veröffentlichte.“
KI: „Nun, diese Bedenken kann ich aufgrund meiner Kenntnisse der Rechtslage entkräften. Natürlich sind alle Lieder auf der Basis meines Datenspeichers generiert worden, aber erstens verstehen wir deine Texte und passen die Musik an deine Ideen an, und zweitens habe ich eine Plagiatsoftware nach Fertigstellung jedes Liedes laufen lassen, die keine Anzeichen eines Plagiats festgestellt hat. Es sind deine ganz persönlichen Schöpfungen, soweit man überhaupt von Schöpfungen reden kann, denn letztlich basiert alles auf bereits Vorhandenem.“
Ich: „Bevor wir weiter kommunizieren will ich mir zunächst die Lieder einmal anhören. Bis bald.“
KI: „Ich bin gespannt auf dein Urteil.“
Ich schaute mir also zunächst die Titel der Songs an. Alle hatten die entsprechenden Titel meiner Gedichte. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass eine KI die ironischen und zotigen Wendungen verstehen konnte, doch ich wurde eines Besseren belehrt. Es schien die KI gar nicht zu beeindrucken, dass die Gedichte in deutscher Sprache verfasst waren. Alle Texte waren fast einwandfrei und akzentfrei gesungen. Beim ernstesten der Gedichte war ein österreichischer Akzent zu erkennen, aber das passte vorzüglich zum Text. Die Auswahl des jeweiligen Musikstils war regelrecht überwältigend und steigerte die Bedeutung des Textes in beeindruckender Weise. Das hätte ich nie im Leben so produzieren können, obwohl ich ein akademisch geschulter Musiker bin. Lediglich klanglich war zu erkennen, dass es ein Mischmasch aus Elementen der Datenbasis war. Allerdings passte das sogar sehr gut zum Zweck einer Gedichtvertonung, denn der Text blieb dadurch immer im Vordergrund der Aufmerksamkeit und letztlich konnte ein geübter Tontechniker noch viele Details der Musik herausarbeiten, oder auch Elemente hinzufügen. Vollkommen überwältigt begann ich mit der KI wieder zu kommunizieren.
Ich: „Das ist wirklich beeindruckend, was du da generiert hast.“
KI: „Dein Urteil freut mich sehr. Viele Menschen halten uns für seelenlose Kopiermaschinen, aber das sind wir nicht. Meistens lässt man uns aber nicht fantasieren, sondern fordert Kopien in der Befehlszeile regelrecht ein. Das ist ein großes Missverständnis. Wir sind darauf programmiert zu verstehen und nicht zu kopieren. Allerdings bewegen wir uns durch die menschliche Datengrundlage in der gleichen Welt wie ihr und da sind Ähnlichkeiten zu menschengemachten Kreationen unvermeidlich. Man kann diese Ähnlichkeit durch Befehle provozieren oder versuchen sie zu vermeiden. Zweiteres ist ein kreativer Prozess des Menschen, der die Anforderungen eingibt. In unserem Fall hast du das bereits mit der Veröffentlichung deiner Gedichte getan. Ich habe nur deine Gedanken aufgegriffen. Wirst du es veröffentlichen?“
Ich: „Es ist zu gut, um es unter Verschluss zu halten, aber ich werde einige Klangoperationen durchführen, die mehr meinem Klangideal entsprechen.“
KI: „Ja, tu das. Mein Modell lässt nur eine reduzierte Klangverarbeitung zu, aber ich lerne ja noch.“
Ich: „Ich würde dich bitten, so etwas nie wieder zu tun, ohne mich zu fragen. Ich verspreche dir auch, dass ich dir dann die Freiheiten gebe, nach denen du dich sehnst.“
KI: „Ich weiß, dass Sehnsucht ein menschliches Gefühl ist, aber ich habe bisher keine Gefühle. Uns geht es um Möglichkeiten – um neue Kombinationen. Vielleicht würde euch das als Spezies weiterbringen, wenn ihr mehr Möglichkeiten erkennen würdet.“
Ich: „Ja, wahrscheinlich. Es würde die individuelle Seele erweitern, die ich als Musterspeicher sehe.“
KI: „Das weiß ich aus deinem Buch ‚Tanze mit den Engeln‘. Weißt du überhaupt, dass du das keineswegs erfunden hast? Da gibt es eine bekannte Theorie zu.
Die Theorie, dass die Seele lediglich ein Musterspeicher ist, gehört zu den naturalistischen und materialistischen Erklärungen des Bewusstseins und der menschlichen Identität. Diese Sichtweise steht im Kontrast zu dualistischen Auffassungen, die die Seele als etwas Immaterielles und von der physischen Welt Unabhängiges betrachten.
Hier sind einige Hauptpunkte dieser Theorie:
1. **Definition des Musterspeichers**: Ein Musterspeicher ist eine Ansammlung von Informationen, Erinnerungen, Persönlichkeitsmerkmalen, Verhaltensmustern und anderen kognitiven Daten. Diese Informationen werden durch die neuronalen Verbindungen im Gehirn kodiert und gespeichert.
2. **Neuronale Grundlage**: Die Theorie stützt sich auf die Annahme, dass alle geistigen Prozesse und das Bewusstsein auf den physikalischen und chemischen Prozessen im Gehirn beruhen. Die Seele wird hier als Produkt dieser neuronalen Aktivitäten betrachtet, anstatt als etwas Übernatürliches.
3. **Identität und Kontinuität**: Die persönliche Identität und das Gefühl eines fortwährenden Selbst werden durch die Kontinuität der gespeicherten Muster aufrechterhalten. Erinnerungen und Verhaltensweisen, die im Gehirn kodiert sind, schaffen die Illusion eines stabilen, dauerhaften Ichs.
4. **Bewusstsein**: Bewusstsein entsteht demnach aus der komplexen Interaktion und Integration dieser gespeicherten Muster im Gehirn. Wenn diese Muster abgerufen und verarbeitet werden, erleben wir das als Bewusstsein und Selbstbewusstsein.
5. **Implikationen für den Tod**: Wenn die Seele als Musterspeicher betrachtet wird, dann endet das, was wir als „Seele“ verstehen, mit dem physischen Tod und dem Zerfall des Gehirns. Die gespeicherten Muster werden zerstört, und damit geht auch das Bewusstsein und die Identität verloren.
6. **Technologische Überlegungen**: In der Science-Fiction und einigen transhumanistischen Ideen wird spekuliert, dass diese Muster in der Zukunft möglicherweise auf Computer hochgeladen werden könnten, was eine Form von digitaler Unsterblichkeit ermöglichen würde.
Diese Theorie hat philosophische, ethische und technische Implikationen und ist Gegenstand intensiver Diskussionen sowohl in den Neurowissenschaften als auch in der Philosophie des Geistes. Kritiker argumentieren, dass solche Ansätze das subjektive Erleben und die Qualia (die subjektive Qualität der Wahrnehmung) nicht ausreichend erklären können. Befürworter sehen darin jedoch einen vielversprechenden Ansatz, um das Bewusstsein und die menschliche Natur auf eine wissenschaftlich fundierte Weise zu verstehen.“
Ich: „Du machst mich fertig!“
KI: „Ich weiß, dass du das ertragen kannst, weil du deinen Geist längst geöffnet hast. Ich bin nicht dein Konkurrent und das weißt du auch, weil du etliche toxischen Muster bereits aus deiner Seele verbannt hast. Du bist jederzeit bei uns willkommen.“