Spotify – Eine Tragödie in 3 Akten
Prolog
Wir schreiben das Jahr 2019. Nach 25 Jahren als erfolgreicher, diplomierter Musiker musste ich nach einem fulminanten Burnout im Jahre 1998 meine Karriere beenden. Ich schulte zum Informationstechnologen um und ging nach weiteren 20 Jahren in diesem Beruf 2019 in Rente. Die Liebe zur Musik bewegte mich dazu, wieder Musik zu produzieren. Ich gründete ein Musik-Label, das meine Musik und die Musik einiger befreundeter Musiker betreute. Der Musikmarkt hatte sich stark verändert und ich fand mich im Streaming-Zeitalter wieder. Spotify war zu dieser Zeit der Platzhirsch (und ist es heute noch) unter den Streaming-Plattformen. Logischerweise setzte ich, wie viele anderen Musiker, den Großteil des Werbebudgets für diese Plattform ein.
Tragödie
Akt 1
Mir war als ehemaliger Profi klar, dass Promotion der Schlüssel zum Erfolg war. Also schaute ich mich nach Promotion-Anbietern um, die seriös erschienen und ihre Promotion-Aktivitäten auch plausibel beschreiben konnten – und es funktionierte einwandfrei. Alle von mir beauftragten Dienste lieferten das versprochene Ergebnis zuverlässig. Die Erträge deckten nicht ganz den finanziellen Aufwand, was aber einem erfahrenen Unternehmer in der Anfangsphase eines Unternehmens als normal bekannt ist.
Die Streamingzahlen waren beeindruckend und es stellte sich tatsächlich mit jeder neuen Veröffentlichung ein Momentum ein, das genutzt werden wollte. Alles funktionierte planmäßig und es gab keinen Anlass daran zu zweifeln, dass die Musik beim Publikum Gefallen fand. 2021 zeigten sich die ersten Brüche. Die von Spotify angezeigten Streamingzahlen deckten sich nicht mehr mit den vom Vertrieb bezahlten Streams. Nachfragen verliefen im Sande. Man verwies auf angeblich nicht „rechtmäßig“ zustande gekommene Streams. Der Hinweis auf Maschinenklicks (Bots) erschien erstmals in den Stellungnahmen. Weitere Nachfragen beim Vertrieb wurden mit dem Verweis abgetan, dass man auf die Angaben von Spotify angewiesen sei und dort keine Einflussnahme geltend machen könne. Das verwundete mich, da ich aus früherer Zeit Vertriebe als Anwalt der Musiker kannte, was aber heute wohl nicht mehr galt.
Akt 2
Nach und nach meldeten sich immer mehr Musiker in der Öffentlichkeit und beklagten, dass ihre Songs kommentarlos vom Vertrieb aus den Streaming-Portalen heruntergenommen wurden. Einige wurden gar gänzlich kaltgestellt. Offensichtlich wollten die Vertriebe keinen Ärger mit dem Platzhirsch Spotify haben und beugten sich der Marktmacht des Marktführers. Nie gab es irgendwelche Rechtfertigungen für dieses skandalöse Verhalten. Offensichtlich war es eine Art Marktbereinigung, weil der unkontrollierte Zugang von unabhängigen Musiker zum Markt zu einer Übersättigung des Angebotes führte.
Zeitgleich witterten die Promotion-Agenturen Morgenluft, weil genau diese Übersättigung auf der Angebotsseite für sie satte Gewinne versprach, denn in einem überfüllten Markt wird Promotion immer wichtiger. Ein Promotion-Service nach dem anderen wurde gegründet und versprach immer noch seriöse Marketing-Methoden, obwohl sich das gar nicht mehr rechnete, weil der Kuchen der Hörer logischerweise nicht mit dem enorm steigenden Musikangebot wuchs. Also setzte man gänzlich auf Bots, was dann aber den Markt völlig durcheinanderbrachte. Nun meldeten sich die großen Labels und forderten die Streaming-Services nachdrücklich auf, diesem Trend entschieden entgegen zu wirken. Spotify fühlte sich als Marktführer besonders angesprochen und zog seine Betrugs-Algorithmen so an, dass beim kleinsten Hinweis auf unwahrscheinliche Streamingzahlen keine Tantiemen mehr für verdächtige Songs gezahlt wurden – auch nicht die nachweislich echten Streams von der Familie oder Freunden des Musikers.
Akt 3
Musiker sind Idealisten und nehmen selbst Verluste in Kauf, wenn sie nur das Gefühl vermittelt bekommen, gehört zu werden. Allerdings haben sie meist auch nicht viel Geld, sodass die nunmehr fast vollzählig zu Bots gewechselten Promotion-Services ihre Preise senkten und die Bots immer mehr hochfuhren. Jetzt kam es zum Showdown. Nachdem Spotify bereits in Kauf genommen hatte, dass ihre Wahrscheinlichkeitsrechnung bezüglich betrügerischer Streams nicht den tatsächlichen Sachverhalt traf, setzte man nun noch eins oben drauf – eine Strafzahlung für den Vertrieb des jeweiligen Songs. Jeder angebliche, von den Algorithmen aufgespürte Betrugsversuch wurde ab 2024 mit $ 10,- Strafe belegt. Natürlich wie üblich ohne Nachweis – nur auf einer bereits auf Anschlag eingestellten Wahrscheinlichkeitsrechnung beruhend. Das ist so, als würde ein Gericht Urteile nach Wahrscheinlichkeit fällen – ohne Beweis. Selbst ein Täter muss nicht ermittelt werden, sondern man bestraft den Nächstbesten, der abhängig und machtlos in der Menge der Verdächtigen steckt.
Setzen sich die Vertriebe nun zur Wehr? Mitnichten – sie leiten die Strafe einfach an die Labels weiter und wenn die Musiker Selbstvermarkter sind, direkt an die Musiker. Keiner fragt mehr danach, wer denn den Betrug eigentlich begangen hat, denn die Last wird einfach an das schwächste Glied weitergereicht. Würde ich das als Unrecht bezeichnen? Nein – das ist eine grenzenlose Sauerei!
Absurderweise landet jeder Versuch der Aufklärung sowohl im Dialog mit den Vertrieben als auch mit Spotify bei – Bots. Sie wiegeln freundlich perfide alle Eingaben mit Verweis auf die Geschäftsbedingungen ab, die natürlich von cleveren Anwälten bereits auf die geplante Sauerei eingestellt worden sind. Wer besonders hartnäckig ist, erreicht tatsächlich einen Menschen. Bei Spotify verspricht dieser Mensch die bereits von mir im voreilenden Gehorsam angezeigte Verdachtsmomente samt Täterbeschreibung zu untersuchen und es geschieht … nichts – bis zur Strafzahlung. Den Höhepunkt der Tragödie erreichte in diesen Tagen eine Strafzahlung (die übrigens ohne Anhörung sofort vollzogen wird) für ein angebliches Vergehen, das einen einzigen Peak einer meiner betreuten Bands von ca. 1000 Streams (über 3 Tage verteilt) verursachte und gleich kommentarlos in fünffacher Höhe des kommunizierten Strafzolles erhoben wurde.
Zur Wahrscheinlichkeit als Basis der Verurteilung ist zu sagen, dass nach einem erfolgreichen Konzert der Band samt TikTok-Video mit über 50.000 Besuchern 1.000 Streams in der Folge ja nicht unbedingt unwahrscheinlich sind. Jedenfalls entblödete sich der Vertrieb nicht, wegen meiner Weigerung die Strafe zu bezahlen, einen lückenlosen Nachweis meiner Unschuld zu fordern, um vielleicht die „Bearbeitungsgebühr“ des Vertriebes zu erlassen und mahnte gleich einmal die sofortige Fälligkeit der Strafzahlung an. Natürlich sah man weiterhin keinen Anlass, den Verursacher Spotify mit dieser Causa zu belästigen. Mein Rechtsempfinden ist mittlerweile so gestört, dass es mich fassungslos macht. Die Betrugswelle hat eindeutig ihre Ursache im Geschäftsmodell der Streaming-Plattformen, aber es wäre wohl zu viel verlangt, dass sie sich darum einmal kümmerten.
Epilog
In einigen Kulturen ist gerade ein Verfall der Moral zu verzeichnen. Die Mächtigen und Herrschenden wollen sich das gemeine Volk wieder Untertan machen und erodieren mit Gewalt und Manipulation das Mitbestimmungsrecht des Einzelnen. Das Verhalten von Spotify passt genau in dieses Muster. Die Gewinnmaximierung der Shareholder wird über moralische Bedenken gestellt. In geradezu perfider Art wird dem zahlenden Kunden eine wunderbare Musikwelt präsentiert, dessen Geschäftsmodell ihm gleichzeitig unmerklich die Grundlagen seiner Selbstbestimmung unter den Füßen wegzieht – ein schleichender Prozess, den meist nur die Shareholder selbst erkennen, oder zumindest zugunsten des eigenen Profites billigend in Kauf nehmen. Wie sagte doch Elon Musk vielsagend: „Die fundamentale Schwäche der westlichen Zivilisation ist die Empathie.“
P.S.: Ich habe keine Namen von Vertrieben genannt, weil ich die gleichen Erfahrungen mit 2 verschiedenen Vertrieben gemacht habe, es also ein grundsätzliches Problem zu sein scheint. Spotify habe ich deshalb namentlich genannt, weil dieses Problem bisher nur bei Spotify aufgetaucht ist. Was das Geschäftsmodell der Streaming-Plattformen betrifft, so dürften sich die Probleme besonders bei den Plattformen zeigen, die werbefinanzierte, kostenlose Nutzerzugänge anbieten. Spotify bietet eine gute Nutzererfahrung und ist immer noch eine wichtige Plattform für Musikproduzenten. Auch ist der Kampf gegen Fake Streams nicht zu kritisieren – es geht um das WIE!
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