Führungsanspruch auf den Punkt gebracht
An alle Denker, Intellektuelle oder wie immer man Menschen nennt, die den Willen UND die Chance haben, mehr Zeit als üblich mit Nachdenken zu verbringen. Ihr müsst eine einfache Prinzipienkette verstehen lernen.
- Führer einer Gesellschaft brauchen Macht.
- Macht wird durch Anerkennung der Führungseignung von der Gesellschaft verliehen.
- Die zwei wesentlichen Werkzeuge der Machtausübung sind Meinungshoheit und Gewalt.
Wie man unschwer erkennen kann, ist der Punkt 2 die entscheidende Weiche in dieser Kette. Deshalb beschäftige ich mich im Weiteren nur damit. Das ist kompliziert genug, aber wir müssen der obligatorischen Versuchung für Denker widerstehen, immer alle Details unterschwellig mitzudenken. Tatsache ist, dass alle Führer, die bei Punkt 3 angekommen sind, nicht mehr abhängig von Punkt 2 sind und nur noch durch einen gewaltsamen Aufstand der Gesellschaft von der Macht entfernt werden können.
Verantwortungsbewusstsein
Ich wehre mich gegen den allgemeinen Vorwurf der Dummheit gegenüber Menschen, die über wenig Bildung und Motivation zum Nachdenken verfügen. Es gibt viele Gründe dafür, und die meisten dieser Gründe eignen sich nicht zu einer Schuldzuweisung an die vermeintlich dummen Menschen. Wenn wir die Schuldfrage umkehren, so ist eher mehr Verantwortungsbewusstsein bei den Denkern einzufordern. Natürlich gibt es viele „ehrenamtliche“ Denker wie mich, die keine Vergütung für die Zeit des Nachdenkens erhalten, aber es gibt auch sehr viele Professoren, Wissenschaftler etc., die für Ihre Denkarbeit teils vorzüglich bezahlt werden. Es ist zu beobachten, dass sich diese gern hinter ihren spezifischen Aufgaben verschanzen und damit dem Verdacht der Haltungslosigkeit aussetzen. Wer dafür bezahlt wird, dass er nachdenken darf, muss sich auch einer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, die ihm das ermöglicht, bewusst sein.
Verzicht auf komplexe Begrifflichkeit
Man sagt: „Wissen ist Macht“, und damit ist immer die Macht über Unwissende gemeint. Diese Macht ist jedoch immer nur eine Chance auf Macht. Ob diese Chance realisiert wird, liegt in der Hand der Wissenden. Den Populisten, die gerade einen enormen Zulauf haben, wird die Vereinfachung der Probleme und damit Manipulation der Bevölkerung vorgeworfen. In diesem Zusammenhang spricht man auch von „Verdummung“. Dieser Vorwurf ist paradox, denn die angeblich manipulierten Menschen werden ja bereits im Vorfeld als dumm angesehen. Wir sollten den Begriff „Manipulation“ aus dieser Diskussion streichen, denn letztlich ist jede Meinungsäußerung eine Art der „Manipulation“. Auch Begriffe, wie „Demokratie“ eignen sich aufgrund ihrer Vielschichtigkeit nicht, um bildungsferne Menschen zu überzeugen. Wir erleben es immer wieder, wie solche Begriffe einfach von Populisten umgedeutet werden („die Ausgrenzung der AfD ist undemokratisch“) und darin liegt auch immer ein Körnchen Wahrheit verborgen.
Die Dummheit der Denker
Man könnte fragen, wer eigentlich der „dümmere“ von zwei Mustermenschen ist – der sogenannte „bildungsferne“ Mensch, der sich zumindest bemüht, eine Haltung vor einer Wahl oder bei einer Umfrage einzunehmen, oder der Denker, der einfachste Prinzipien der gesellschaftlichen Diskussion nicht versteht und sich auf seine gefühlte Weisheit verlässt. Wer den unbedarften Mitmenschen komplizierte Begriffe um die Ohren haut, die er selbst gar nicht in vollem Umfang versteht, ist nicht nur dumm, sondern auch noch überheblich – ihm fehlt die nötige Demut. Gerade diese Überheblichkeit wird Intellektuellen von den Populisten vorgeworfen. Allerdings wird dieser Vorwurf durch eine ganz andere Überheblichkeit der Populisten wieder entwertet. Nämlich ein unbegründeter Machtanspruch, der sich auf die Wunschvorstellung einer nicht belegbaren Mehrheitsmeinung beruft. Es ist allerdings Aufgabe der vermittelnden und ausgleichenden Denkergilde, dass es bei der Wunschvorstellung bleibt. Das kann nicht als Aufgabe der ohnehin notorisch überforderten Bevölkerung gesehen werden.
Die gegenwärtige Situation erkennen und klar benennen
Um richtig zu handeln, sollte ein verantwortungsbewusster Denker erkennen können, wie die momentane Situation ohne den bereits erwähnten Hang zur Tiefenbohrung ist. Ich will das an Beispielen verdeutlichen.
→ Clan-Kriminalität
Teile der Bevölkerung leiden an zunehmender Gewalt im Land. Das ist keine Einbildung, sondern eine Tatsache. Wenn Clans ganze Stadtviertel terrorisieren, so ist das ein tatsächliches Problem, das gelöst werden will. Dabei ist es vollkommen unerheblich, ob sich diese Clans aus Zuwanderern rekrutieren, oder einfach kriminelle Banden von Einheimischen sind. Es macht keinen Sinn gegenüber den Betroffenen auf alle Ursachen hinzuweisen („man muss es nur richtig vermitteln“), sondern es ist Aufgabe der gewählten Führer das in die Lösung zu integrieren. Auch die Details einer gefundene Lösung müssen nicht haarklein aufgelistet werden, sondern die beabsichtigten Verbesserungen sollten verständlich formuliert werden und für Interessierte können die Details dann zusätzlich in Dokumentationen hinterlegt werden.
→ Einwanderung
Nicht die Einwanderung an sich ist das Problem (wir brauchen sogar dringend Arbeitskräfte aus dem Ausland), sondern der Missbrauch unserer verfassungsgemäßen Schutzrechte gegenüber politisch verfolgten Menschen. Also lenkt man die Aufmerksamkeit auf das eigentliche Problem, ohne in die hetzerische Gedankenwelt der Populisten einzutauchen. Nichts ist für die Bevölkerung einfacher zu verstehen und zu akzeptieren, als konkrete Maßnahmen gegen Missstände. Nur das Nichtstun wird vom Wähler bestraft. Wenn es dafür Gründe gibt (Überlastung der Verwaltung) so muss dieses Problem ebenso angegangen werden – es gibt dafür keine andere Möglichkeit. Der Verweis auf fehlende Finanzierbarkeit reicht einfach nicht aus. Das ist nun einmal der Fluch einer Regierung. Vielleicht können an dieser Stelle Wissenschaftler beauftragt werden, nach unkonventionellen Lösungen zu suchen. Sollten deren Ideen einen visionären Charakter haben, so sei daran erinnert, dass Visionen durchaus von der Bevölkerung akzeptiert werden, weil sie die seelische Befindlichkeit verbessern.
→ Weltpolitik
Wir reden momentan viel über den Kampf „Demokratie“ gegen „Autokratie“. Dabei wird der Begriff „Demokratie“ wie ein Popanz durch unser Land getrieben. Tatsächlich gibt es auf dem Planeten mehr Autokratien als Demokratien, und auch mit diesen Staaten müssen wir im globalen Handel zurecht kommen. Dem Großteil der Bevölkerung ist diese Doppelmoral nicht zu vermitteln – da kann man argumentieren wie man will. Es wäre ehrlicher, wenn wir auf die „inneren Angelegenheiten“ der autokratisch regierten Staaten hinweisen würden, statt einen moralischen und extrem komplizierten Diskurs zu führen. Auch wir in Deutschland möchten nicht, dass sich ausländische Kräfte in unser Gesellschaftsmodell einmischen. Wollte man beispielsweise China verurteilen, so reicht ein Blick in die koloniale Geschichte des Landes, um sehr demütig seine Verurteilung zumindest in Frage zu stellen. Wie China mit Taiwan umgehen wird, ist der Schlüssel zu einem gewissen Verständnis für unsere Akzeptanz der momentanen Gesellschaftsform. Dass Putins Überfall auf die Ukraine durch gar nichts zu rechtfertigen ist, können auch nicht intellektuell geschulte Menschen nachempfinden. Das gilt aber ebenso für alle vergangenen Überfälle auf fremde Gebiete – egal von welchem Land sie ausgingen. Dass militärische Gewalt gegen andere Staaten immer noch eine Machtoption ist, kann man als bedauernswert empfinden, aber es gibt dagegen kein bekanntes Mittel außer einer abschreckenden Verteidigungsfähigkeit. Das hat die deutsche Bevölkerung mit der weitgehenden Akzeptanz zu einer hohen Verschuldung für Aufrüstung ganz einfach verstanden.
Die Zukunft gestalten
Wenn es eine Fähigkeit gibt, die im Denken gut trainierter Gehirne (nennen wir es einmal so) besonders auszeichnet, so ist es die Beeinflussung der Zukunft. Diese Fähigkeit speist sich aus Wissen (Geschichte), Erkenntnis (Gegenwart) und Fantasie (Entwicklung). Für das Thema dieses Atikels ist es besonders wichtig, in welche Richtung und wie geeignete Führer die Bevölkerung lenken.
→ Eigenschaften der Ziele
Wie wir bereits eingangs festgestellt haben, ist es schwer, gewählte Führer noch zu kontrollieren, die bereits Meinungshoheit und Gewalt im Staat erlangt haben (also Autokraten). Deshalb beschäftigen wir uns hier nur mit Gesellschaften, die noch Mehrheitsentscheidungen fällen können. Alle Ziele müssen die Bedürfnisse der gesamten Bevölkerung berücksichtigen. Mehrheitsentscheidungen sollten immer unter zeitlichem Vorbehalt stehen und müssen jederzeit widerrufbar sein. Bewerber um Führungspositionen können und sollten auch Visionen formulieren, damit sie für Wähler erkennbar werden, sollten aber gleichzeitig Teilziele als realisierbare Vorhaben unter der Berücksichtigung des zeitlichen Vorbehalts ausgeben. Visionen und Teilziele sollten deutlich voneinander getrennt werden. Der Wähler will Wege erkennen können, die er dann auch mitgehen kann.
→ Wie gehen wir den Weg gemeinsam?
Wenn wir uns einem Führer anschließen, so erwarten wir eine Expertise. Wir folgen dem Fremdenführer, weil er sein Terrain kennt. Dieses Vertrauen ist durch nichts zu ersetzen, aber wir folgen ihm nicht in Gefahrensituationen und nicht nach dem Ende der Führung, es sei denn er lädt uns unverbindlich ins nächste Restaurant ein. Politische Führer sollten auch eine Expertise nachweisen können, um Vertrauen zu erzeugen. Wenn die Bevölkerung Vertrauen hat, müssen nicht alle komplexen Aufgaben im Detail beschrieben werden, sondern im parlamentarischen Diskurs zu einer Lösung gebracht werden. Dieser Diskurs kann von jedem Interessierten verfolgt werden. Der politische Führer tut gut daran, die erwarteten positiven Folgen dieser Lösung zu vermitteln, und sich nicht über die Schwierigkeit der Lösungsfindung auszulassen. Jeder Bürger steht jeden Tag vor schwierigen Entscheidungen, und hat kein Verständnis für das Gejammere über schwere Lösungsfindungen. Das ist schlicht der Job des Politikers. Nicht die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner ist sein Thema, sondern das Erreichen der Teilziele auf dem Weg zu einer Gesellschaftsvision. Der Wähler will sich für einen Weg entscheiden und nicht für die Aufstellung einer Kampfordnung zwischen den Parteien.
Fazit
In Gesellschaftsformen mit freien Wahlen haben die Abgeordneten eine Führungsrolle, ob sie wollen oder nicht. Sie übernehmen mit ihrer Wahl Verantwortung für die gesamte Bevölkerung. Es ist ihre Pflicht, möglichst allen Menschen zu erklären, in welche Richtung sie gehen wollen. Diese Erklärung muss dann auch für jeden verständlich sein. Um dieses Ziel zu erreichen, sollte jeder Politiker ausreichende Kenntnisse über grundsätzliche Verhaltensweisen von Menschen haben. Das gehört zu seiner Expertise. Er sollte zwar genau über die Gefühlslage und Probleme seiner Bevölkerung informiert sein, ist aber dem Weg verpflichtet, den er vor der Wahl vorgezeichnet hat. Die Bevölkerung eines Staates ist in der Regel extrem vielfältig und kann keine einheitliche Willensbekundung abgeben. Diese Erkenntnis muss in die Art der Führung eingepreist werden und ist keinesfalls ein Thema, weil es viel zu kompliziert für den größten Teil der Bevölkerung ist. Stattdessen werden Beschreibungen über das Ziel eines Weges von jedem Menschen verstanden. Die positiven Effekte von Entscheidungen müssen dann auch von den Betroffenen erfahren werden können. Absichtserklärungen können diese Erfahrung nicht ersetzen.
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