Das große Spiel – Prinzip: Bipolarität
„irgendwo dazwischen …“
Was auch immer beim Urknall geschah – Gott und der Teufel wankten im Morgengrauen Arm in Arm aus der Kneipe namens „Schöpfung“.
Nun, das ist wahrlich eine provokative Episode aus der Schöpfungsgeschichte, doch sie passt sehr gut zum Prinzip „Bipolarität“ – in zweierlei Hinsicht. Erstens macht es noch einmal klar, dass ich mich nicht auf das Universum als materielle Instanz des Seins beschränke, und zweitens erteile ich allen Religiösen Eiferern eine Absage, die die gerade ausgebrochene Renaissance des Idealismus als Sprungbrett für ihren bedingungslos liebenden Gott nutzen wollen.
Quantentheorie
Nachdem die Quantentheorie die Tür zum Immateriellen wieder weit geöffnet hatte und sowohl Geist als auch Seele wieder in der Wissenschaft mitspielen durften, konnte man einige Gedankensprünge von etablierten Wissenschaftlern aus allen Disziplinen beobachten, die atemberaubende Strecken überwanden. Natürlich ist unsere menschliche Sehnsucht stark und natürlich ist es nicht verwerflich, an das Gute im Menschen zu glauben. Dennoch mahne ich als Laie eine Grundtugend der Wissenschaft an, die als Mindestmaß eine möglichst genaue Beobachtung fordert.
Beobachtung
Meine Beobachtung drängt mir mitnichten das Gefühl auf, dass die Liebe das treibende Element der Natur ist – im Gegenteil: Ich beobachte an allen Ecken und Kanten der menschlichen Welt Konfrontationen in allen Schattierungen. Diese Konfrontationen haben es sogar zu einer ganz eigenen Ebene des Menschseins geschafft – dem Spiel. Im Spiel leben wir die prinzipielle Bipolarität der Natur aus, ohne dass unsere Welt sofort zerrissen wird (siehe Prinzip: Auslöschung).
Spins und Widersprüche
Dass selbst die Spins von verschränkten Quanten immer gegensätzlich sind, ist nicht meine Erfindung. Genauso wenig, wie die Tatsache, dass die Geschichte der Menschheit von vernichtenden Kriegen nur so überquillt. Ja, es gibt auch Geschichten von bedingungsloser Liebe, aber das ist kein Widerspruch zum Prinzip der Bipolarität; denn es gibt ja etwas zwischen den Polen und wahrscheinlich ist es der einzige Ereignisraum, der unsere Welt überhaupt möglich macht. Schauen wir uns einmal im Buch der Analogien um.
Balance
Wenn es darum geht, Verteilungen zu beschreiben, habe ich den Stereo-Balance-Regler eines Mischpults vor Augen. Dieser Regler ist meistens im Gegensatz zu den anderen Reglern, die Minimal und Maximal vertikal anzeigen, waagerecht mit Nullverteilung in der Mitte angeordnet. Beide Enden zeigen Maximalstellungen an. Entweder kommt alles aus dem linken Lautsprecher oder (das Gegenüber) aus dem rechten Lautsprecher. Diese Regelung hat also 3 Maximalstellungen, denn wenn alles aus der Mitte kommt, ist das eine maximale Unverteilung. Wie in der Klangmischung auch, hat die unsere Wirklichkeit in der Raumzeit aber noch eine andere Ebene, nämlich die Anfangsbalance der einzelnen Tonspuren. Um dieses Bild für unsere theoretischen Überlegungen zu nutzen, müssen wir also den Anfangszustand idealisieren. Alle Einzelspuren entsprechen dabei Musikern, die nur an einer Stelle auf der Bühne stehen können. Demnach haben die Einzelspuren eine Rechts-Links-Nullverteilung im Bühnenraum. Wenn wir nun bei der Mischung der Spuren alle in die Mitte legen, würde das ein kurioses Bühnenbild ergeben, denn alle Musiker müssten hintereinander stehen. Dieser kleine Ausflug zeigt bereits die Problematik von Verteilungstheorien an, denn Dimensionen verändern den Anfangszustand. Würden die Musiker hintereinander stehen, würde das die Lautstärke jedes Instrumentes im Zuschauerraum beeinflussen.
Davor … das Problem der Zeit
Da wir uns aber bei unserem Denkmodell im Gegensatz zum Bühnenbild noch vor der Raumzeit befinden, können wir von einer einzigen Dimensionen ausgehen und unserer Regler würde demnach nur eine idealisierte Verteilung anzeigen. Er zeigt also 3 Maximalstellungen an, bei denen nach bisheriger Kenntnis unmöglich Entwicklung entstehen kann. Wenn wir davon ausgehen, dass erst mit der Schöpfung Entwicklung begann, muss der Anfangszustand also einem dieser Reglerstellungen entsprochen haben. Für mein Modell ist es dabei unerheblich, was genau denn dort verteilt wird – es geht um das Prinzip. Nach den momentanen Ergebnissen der Chaosforschung bieten sich für die Endstellungen (links-rechts) des fiktiven Verteilungsreglers die Beschriftungen Chaos und Ordnung an. Interessanterweise gibt es in der Alltagssprache kein Wort für die mittlere Maximalstellung, das sofort eindeutige Assoziationen hervorrufen würde. Es könnte daran liegen, dass diese mittlere Maximalstellung bisher zugunsten von Extrembedingungen an den „Rändern“ vernachlässigt wurde. Das wäre angesichts der politischen Diskussion im Lebensalltag kein Wunder, den auch dort wird nur vor dem Rechtsextremismus und dem Linksextremismus gewarnt. Vielleicht versteckt sich eine ebenso große Gefahr jedoch auch in der perfekten Mitte. In unserer Metapher aus der Klangtechnik ist man versucht, diese Einstellung mit Mono (Einkanalklang) zu verwechseln, aber das wäre nicht zulässig, denn im Gegensatz zum Stereobild bietet Mono gar nicht die Möglichkeit einer Verteilung.
Für weitere Betrachtungen brauchen wir einen Namen für diese abstrakte mittlere Maximalstellung unseres fiktiven Reglers, der mangels Akteuren eher einer Anzeige entspricht. Es bietet sich dafür das Wort „Gleichgültigkeit“ im Sinne von Indifferenz an.
Ich rekapituliere die Anfangsbedingung: Es gibt drei mögliche Maximalzustände, die absolute Sinnlosigkeit bedeuten:
- Chaos(max): Unendliche Zerrissenheit – alles ist möglich, aber nichts kann sich halten oder verbindlich werden.
- Ordnung(max): Erstarrte Perfektion – alles ist determiniert, aber nichts kann sich verändern oder neu entstehen.
- Gleichgültigkeit(max): Absolute Indifferenz – nichts interessiert das System, weil es keine Unterschiede gibt, die Wechselwirkung (und damit Sinn) ermöglichen.
Anfangszustand
Einer dieser Zustände dürfte der Anfangszustand sein, weil der Zeitpfeil einen Anfang haben muss, und absoluter Stillstand im Sinne von der Unfähigkeit, Beziehungen herzustellen, Muster zu erkennen oder Bedeutung zu generieren ist dafür ein geeigneter Zustand. Es macht wenig Sinn, sich absolute Sinnlosigkeit vorzustellen. In diesem Licht ist „Gott ist doof“ kein Angriff auf eine Instanz, sondern eine These über den Urzustand selbst; denn dieser Urzustand – ob Chaos(Max), Ordnung(Max) oder Gleichgültigkeit(max) – ist kein Zustand in der Zeit, sondern die Bedingung für die Entstehung von Zeit selbst.
Stelle dir vor, du stündest vor einem Spiegel, der nichts reflektiert: keine Bilder, keine Farben, nicht einmal dein eigenes Gesicht. Dieser Spiegel ist kein leerer Spiegel, sondern ein Spiegel, der die Kategorie des Spiegelns aufhebt. Genauso verhält es sich mit den drei Maximalzuständen:
Keine Zeit ohne Wechselwirkung:
In der Gleichgültigkeit(max) gibt es keine Unterschiede – keine Veränderung, die Zeit messbar machen würde. „Davor“ setzt aber voraus, dass es eine Abfolge von Momenten gibt – doch Momente entstehen erst durch den Bruch der Gleichgültigkeit. Die Frage „Was war davor?“ ist wie die Frage „Was ist nördlicher als der Nordpol?“ – sie unterstellt fälschlich, dass es jenseits des Extrempunkts noch eine Richtung gibt.
Kein Beobachter, keine Frage:
Selbst die Vorstellung eines „Davor“ erfordert einen Beobachter, der diese Frage stellt. Doch in einem Zustand absoluter Indifferenz gibt es keine Perspektive, keine „Außenansicht“, die den Zustand beschreiben könnte. Die Gleichgültigkeit ist nicht leer, sondern selbstreferenziell: Sie ist, was sie ist – und kann nicht von etwas anderem her gedacht werden.
Die Selbstaufhebung der Sinnlosigkeit:
Der entscheidende Punkt ist: Ein Zustand, der keine Entwicklung zulässt, kann nicht ewig bestehen – weil er sich selbst die Grundlage entzieht:
- Chaos(max) würde sich in seiner Zerrissenheit selbst zerreißen, bis irgendetwas bleibt, das sich halten kann.
- Ordnung(max) würde in ihrer Starre erstarren – und damit aufhören, Ordnung zu sein (denn Ordnung braucht etwas, das geordnet wird)
- Gleichgültigkeit(max) aber ist der radikalste Fall: Sie kann nicht einmal mehr „bestehen“, weil „Bestehen“ bereits eine minimale Differenz zur Nicht-Existenz voraussetzt.
Der Urknall (oder was auch immer den Bruch auslöste) war also kein Ereignis in der Zeit, sondern das Ereignis der Zeit. Er markiert nicht den Anfang einer Kette, sondern das Ende der Kettenlosigkeit.
Mit anderen Worten:
Die drei Maximalzustände sind keine Optionen für einen ‚Anfang‘, sondern die einzige logische Erklärung dafür, warum es überhaupt einen Anfang geben musste. Sie sind nicht der erste Moment, sondern der letzte einer ewigen Stille – der Moment, in dem die Stille sich selbst als unmöglich erweist. Daher gibt es kein ‚Davor‘ – nicht weil wir es nicht wissen, sondern weil die Frage selbst in einer Welt ohne Zeit, ohne Unterschiede, ohne Beziehungen sinnlos wird.