Wo ist der Ausgang?
Ein Berufsmusiker sollte nicht zu sensibel sein. Es gibt Momente, wo man nur noch weg will. Weg von diesem Ort, weg aus diesem Leben in eine andere Dimension, wenn möglich. In meiner Musikerlaufbahn gab es einige dieser Momente.
Ein Berufsmusiker sollte nicht zu sensibel sein. Es gibt Momente, wo man nur noch weg will. Weg von diesem Ort, weg aus diesem Leben in eine andere Dimension, wenn möglich. In meiner Musikerlaufbahn gab es einige dieser Momente. Etliche davon waren selbst verursacht. Es zwingt einen ja niemand dazu, sämtliche Herausforderungen anzunehmen. Einige Irritationen sind ja schon in den voran gegangenen Kapiteln eingeflossen. Hier jetzt ein paar der übelsten Erfahrungen.
Das erste Erlebnis beschreibt eine technische Panne, wie sie jedem geschehen kann. Das macht die Entsetzlichkeit des Augenblicks aber auch nicht erträglicher. Ich spielte als Solist mit dem Folkwang-Kammerorchester ein Trompeten-Konzert. In der Trompete sammelt sich während des Spielens Kondenswasser, das in regelmäßigen Abständen über eine Wasserklappe abgelassen werden muss. Den sicheren Verschluss gewährleistet ein kleiner Korken an der Klappe. Ich ließ Wasser ab und setzte zu einer Schlusskadenz an. Ein quäkender Ton quälte das Publikum. Der Korken war unbemerkt herausgefallen und machte das Spielen unmöglich. Doch das Ende des Stückes nahte bereits. Also Augen zu und durchgehalten bis zum bitteren Ende. Danach suchten meine Augen nur noch das Loch im Boden, in dem ich augenblicklich verschwinden wollte. Ein Horror!
Eine andere Art von Horror, dieses mal aber selbst verschuldet, ist die Überforderung während eines Konzertes. Der Horror hatte einen Namen und hieß ‘Salsa‘. Eine angesagte Salsa-Band gastierte in Düsseldorf. Der Trompeter konnte aus irgendeinem Grund nicht auftreten und man suchte einen erfahrenen Ersatzmann, der das klassische Salsa-Repertoire drauf hatte. Man fand keinen. Aber man fand Horst Grabosch, der angeblich irgendwie alles konnte. Außerdem gab es ja Noten und ich war als guter Notist bekannt. Ich hatte nie in meinem Leben Salsa gespielt, obwohl ich ein Fan von Arturo Sandoval, dem berühmten Salsa-Trompeter war.
Was sich beim Zuhören alles so logisch strukturiert entbot, entpuppte sich als eine Abfolge von Teilen, die sich auf Zuruf in spanischer Sprache zu einem musikalischen Feuerwerk entwickelte. Die Musiker waren Profis und sehr nett. Man half mir, wo man konnte. Nach Konzertende bedankt sich die Truppe für den vorbildlichen Kampfgeist, was nur ein schwacher Trost für eine grausame Lehrstunde war. Ein halbes Jahr später war der Trompeter erneut verhindert. Man rief mich tatsächlich wieder an. Es musste der Teufel persönlich gewesen sein, der mich zusagen ließ. Dieses mal hatte ich aber die Noten schon einen Tag vorher bekommen – zum Üben. Das Unterbewusstsein war jedoch schlauer. Am Morgen des Konzertes befiel mich ein grippaler Infekt mit hohem Fieber. Es wurde ein anderes Opfer gefunden. Bei der Rückfahrt von der Übergabe der Noten an einer Autobahnraststätte, war ich trotz des Fiebers sehr erleichtert.
Noch grausamer sind die Auftritte, bei denen man schon vorher weiß, dass man die Anforderung nur zu 90 % erfüllen kann. Dazu gehörten einige Konzerte der Neuen Musik. Es gibt Partien, die so schrecklich schwer sind, dass man verzweifeln möchte. Schlimm ist dabei, dass es entsprechend wenige Musiker gibt, die diese Partien spielen können. Manchmal gibt es mehr Konzerte, als passende Musiker. Ich kann das hier so offen gestehen, weil das ganze in Sphären spielt, die wirklich technische Weltklasse bedeuten. Da es mehrere solcher Konzerte und Proben gab, beschränke ich mich auf das psychische Befinden. Ich befand mich immer in hochkonzentrierter Trance und wollte mich am liebsten sofort sinnlos besaufen. Alkohol geht aber schon gar nicht – soviel Disziplin musste immer sein. So stand ich die Tortur nüchtern durch und gab mein Bestes. Tatsächlich schafft man manchmal Dinge, die man vorher für unmöglich gehalten hätte. Aber die Anstrengungen dieser Tage bleiben nicht in der Jacke hängen! Jahre später habe ich mich immer wieder gefragt, warum ich mich auf diesen Stress eingelassen habe. Ehrgeiz oder Eitelkeit? Wollte ich irgendwem etwas beweisen? Ich weiß es bis heute nicht. Oder war es nur das Geld, das man einfach brauchte?
Eine Anekdote aus dem Raritätenkabinett soll das Kapitel beenden. Michael Riessler hatte die Theatermusik, die wir in Frankreich gespielt hatten, konzertant bearbeitet. Mit diesem Programm samt der Originalkostüme waren wir auf Tour in Deutschland. Ein Konzert fand in Dresden statt. Aus mir heute unerfindlichen Gründen, hatte der Tubist Klaus Burger und ich den Auftrag bekommen, für einen Festakt im Dresdener Rathaus eine Musik zu komponieren und aufzuführen. Es war der letzte Tag der real existierenden DDR. Nun sind Tuba und Trompete eine ungewöhnliche Besetzung, was eine ungewöhnliche Musik zur Folge hatte. Wir machten das Ganze aber noch zu einem Happening. Schwarzer Frack, rote Strumpfhose und gelbe Schwimmflossen war unsere Bühnenkleidung. Am Ende der Aufführung köpften wir eine Flasche Sekt und prosteten uns symbolisch zur Wiedervereinigung zu. Unglücklicherweise schäumt Sekt stark, sodass eine Menge des Gebräus in den Glaskasten sickerte, der uns als Tisch diente und einen kostbaren Folianten enthielt. Das klassikgeschulte Publikum zeigte sein Entsetzen nicht und applaudierte brav. Immerhin brachte uns das Happening eine halbe Seite mit großem Foto in Schotts Klassiker ‘Neue Zeitschrift für Musik‘ ein.
Kommentar
Die Frage des Titels ist die logische Folge von Ignoranz der gerade aufgezeigten Zusammenhänge. Im Innersten meiner Seele wollte ich immer kreativer Künstler sein. Um dieses Berufsziel zu erreichen, hätte ich konsequent sein müssen. Ich wählte den einfacheren Weg, weil die Gelegenheiten da waren. Ich konnte nicht nein sagen. Viele ältere Kollegen sehen diesen Weg immer noch als normal an. Es hat bei ihnen funktioniert, was sollte falsch daran sein? Das Gedächtnis hat die lebensrettende Eigenschaft, negative Erinnerungen zu verdrängen. Geht es bis zum unvermeidbaren Tod so weiter, gibt es keinen Anlass dieses Muster in Frage zu stellen.
Deshalb taugt dieses Muster aber noch lange nicht als Vorlage für Künstler am Anfang ihres Weges. Das Schicksal hat es ja noch gut mit mir gemeint. Ich bin nicht im Ungewissen geblieben, warum in meinem Berufsleben einiges schief gelaufen ist. Alles, was mir während meiner Musikerlaufbahn nicht bewusst war, lernte ich später in meinem zweiten Beruf. Dieses Wissen in Kombination mit dem kreativen Talent ist das ideale Rüstzeug für eine erfolgreiche Karriere als schöpferischer Geist. Warum sollte man diese Erfahrung nicht weitergeben, um den Neulingen im Kunstbusiness einen besseren Start zu ermöglichen?
Die Vorteile für die gesamte Gesellschaft sind ja auch nicht von der Hand zu weisen. Schließlich ist jedes Scheitern des Einzelnen auch eine Belastung für die Gemeinschaft. Je bewusster ein Künstler seinen Beruf ausübt, desto besser kann er seine schöpferische Kraft fokussieren. Nichts ist kontraproduktiver als andauernde Ungewissheit in wichtigen, weil existenziellen, Bereichen des Lebens. Ein unterschwellig andauernder Fluchtreflex, wie in dem Kapitel beschrieben, lässt über allem Tun einen permanenten Zweifel entstehen. Dabei reicht dem Kreativen schon sein natürlicher, sinnvoller Zweifel an der Bedeutung seines Werkes. Ein zusätzlicher Zweifel an der richtigen Berufswahl, in Hinsicht auf die finanzielle Tragfähigkeit, führt langfristig zu seelischem Schaden. Die körperlichen Reaktionen lassen dann auch nicht mehr lange auf sich warten.
Dass aus einem unkontrollierten Mix von Brotjobs und schöpferischen Momenten Stilblüten entstehen, ist fast unvermeidbar. Im Nachhinein mögen sich die Anekdoten lustig anhören. Wenn man jedoch bedenkt, aus welchem Dilemma sie entstanden sind, bekommen sie einen bitteren Nachgeschmack. Bitterkeit ist jedoch kein erstrebenswerter Gemütszustand. Auch in einem bewussten, kontrollierten Berufsleben hat das Schicksal noch genug Überraschungen auf Lager. Das reicht in der Regel, damit keine Langeweile aufkommt.
Nächste Kapitel
Kunst und Kommerz
Mit etwa 35 Jahren war ich auf dem Zenit meiner Musikerkarriere angelangt. Ich brauchte keinen Handschlag mehr für Akquise zu tun. Die Jobs kamen wie gerufen. Der Terminkalender war zum Bersten voll. Ich machte mir keine Gedanken mehr darüber, was ich eigentlich einmal wollte, sondern spulte professionell meinen ‘Dienstplan‘ ab.
Finale
Ich begab mich darauf in ärztliche Behandlung und absolvierte nur noch bereits gebuchte Brotjobs. Die Ärzte diagnostizierten einen beidseitigen Leistenbruch als zunächst zu behebenden Schaden. Anschließend sollte ich mir eine Auszeit bis zum Winter gönnen um dem Körper Gelegenheit für eine Regeneration zu geben.
No Music
Meine Ausbildung zum Informationstechnologen neigte sich dem Ende zu. Zur gleichen Zeit entdeckte ein kleines Team um Dr. Volkmann bei Siemens Business Services die Ressourcen unserer Ausbildungsklasse nebenan bei Siemens-Nixdorf in München-Perlach. Dr. Volkmann und Dr. Schwarz arbeiteten an einem visionären Projekt namens ‘XENIA‘, das bei Gelegenheit multimedial umgesetzt werden sollte.