Über Zeitschleifen
Die große Zeitschleife hat mit Jahren oder gar Jahrzehnten zu tun. Sie beginnt mit einer tollen Idee. Die Idee scheint zunächst brandneu, und zumindest von mir noch nie vorher gedacht zu sein. Wenn so eine Idee plötzlich im Gehirn auftaucht, habe ich ein Supergefühl.
Lieber Thomas,
kennst du Zeitschleifen? Das ist ein sehr kompliziertes Thema. Es hat sehr viel mit der Art des Universums, aber auch mit dem Leben in der Anstalt zu tun. Ich gerate sehr oft in Zeitschleifen, deshalb habe ich da einmal darüber nachgedacht. Besonders quält mich natürlich die Frage nach dem ‚Warum‘.
Bevor ich versuche diese Frage zu beantworten, will ich dir ein paar Beispiele für Zeitschleifen geben, in die ich immer wieder gerate. Zunächst die große Zeitschleife.
Die große Zeitschleife hat mit Jahren oder gar Jahrzehnten zu tun. Sie beginnt mit einer tollen Idee. Die Idee scheint zunächst brandneu, und zumindest von mir noch nie vorher gedacht zu sein. Wenn so eine Idee plötzlich im Gehirn auftaucht, habe ich ein Supergefühl. Kennst du das Gefühl, dass die ganze Welt dir zu Füßen liegt? Jetzt nicht wirklich, nur so vom Gefühl her. Ich muss dann sofort damit anfangen, die Idee zu verwirklichen, also irgend etwas machen, damit ich die Idee auch selbst richtig sehen kann.
Nur die Idee zu haben, reicht mir nicht. Ich muss die dann auch noch sehen können. Bis dahin ist alles ganz prima. Aber schon beim ‘sichtbar machen‘, weiß ich manchmal nicht mehr, ob das wirklich die Idee war. Das ist schwer zu erklären, aber irgendwie war die unsichtbare Idee immer schöner, als das, was ich dann entstehen sehe. Die Krise wird noch größer, wenn ich denke, dass ich jetzt alles von der Idee sichtbar gemacht habe. Das sieht nämlich oft ganz anders aus, als ich es mir vorgestellt habe.
Noch schlimmer wird es, wenn ich es dann jemandem zeige. Der sagt dann zum Beispiel: „Wo ist denn da die Idee?“ Dann versuche ich mich noch mal an die eigentliche Idee zu erinnern, aber die ist weg. Kannst du dir vorstellen, wie furchtbar das ist? Und jetzt kommt die Zeitschleife ins Spiel. Plötzlich fällt mir auf, dass das ja alles schon einmal passiert ist. Im schlimmsten Fall fällt mir auf, dass sich ganze Jahre wiederholen, je nach Größe der Idee und der Zeit, die ich zum sichtbar machen brauchte. Das ist die große Zeitschleife, einfach schrecklich.
Die kleine Zeitschleife kommt natürlich wesentlich häufiger vor. Eigentlich jede Woche. Ein ganz einfaches Beispiel ist der Alltag. Du wachst auf und denkst dir: „Prima, so ein neuer Tag! Heute mach ich aber mal einen Supertag daraus!“ Das Gefühl reicht oft nicht mal bis zum Zähneputzen. Spätestens, wenn du im Hamsterrad zum Arbeitsantritt erscheinst, ist das Gefühl aber so was von weg! Stattdessen kommt unweigerlich das Zeitschleifengefühl. Das ist aber nur ein Gefühl und noch keine echte Zeitschleife.
Die echte, kleine Zeitschleife erkennst du daran, dass auf dem Kalender Zeit vergangen ist, die mit Sicherheit nicht wirklich vergangen ist. Nimm zum Beispiel Geburtstage. Die hast du natürlich fein säuberlich notiert, damit du auch pünktlich zum Glückwunsch bereit bist. Einen Tag vorher bist du auch sicher: „Diesmal pack ich es!“
Flötenpiepen! 3 Tage später willst du den Glückwunsch voller Begeisterung loslassen, aber auf dem Kalender steht ein ganz anderes Datum. Dann fängt das Grübeln an. Was hab ich denn in den 3 Tagen gemacht? Es müsste doch irgendetwas Zählbares in den 3 Tagen herausgekommen sein. Aber es lacht dich nur das blanke Nichts an. Jetzt kommen wir zum ‘Warum‘.
Ich habe also nachgedacht und erkannt, dass die kleine Zeitschleife sozusagen ein Kind der großen Zeitschleife ist. Man denkt nämlich die ganze Zeit panisch darüber nach, dass das ganze Leben aus großen Zeitschleifen besteht. Dieses Nachdenken ist nicht kontrollierbar. Es vergeht unheimlich viel Zeit dabei. Natürlich nur auf dem Kalender, denn Zeit gibt es ja eigentlich im Universum gar nicht. Und mit diesem Nachdenken über große Zeitschleifen bist du mitten drin in der kleinen Zeitschleife.
Das ist nicht schön, oder? Hier in der Anstalt werden uns Therapien angeboten. Sport machen, spazieren gehen, mit der Intensivgruppe ins Museum gehen oder Freunde besuchen. Morgen habe ich zum Beispiel einen Sporttermin, auf den ich mich schon sehr freue. Oder war der bereits gestern?
Irgendwie macht mich das unruhig. Wo ist denn nur der Kalender? Ich muss ihn suchen und deshalb jetzt schließen.
Nächste Kapitel
Schwarze Löcher
Da gibt es nämlich noch diese unglaubliche Erfindung des Universums, dass die Zeit sich mit steigender Schwerkraft ausdehnt. Je größer die Schwerkraft, desto langsamer vergeht die Zeit, bis zum Stillstand. Nun könnte man denken: „Super so ein schwarzes Loch, da geh ich mal hin, lass mich einfangen und habe das ewige Leben. Je näher ich dem Zentrum komme, desto langsamer vergeht die Zeit, bis zum Stillstand.“
Vom Dschungelcamp
Jetzt sagt uns Patienten die Geheimbotschaft aus der Dschungelprüfung, dass es sich durchaus lohnen kann, wenn man sich blutig beißen lässt. Wir sollen dann denken, dass das jedem einmal passieren kann, auch berühmten freien Bürgern, die man ‘Stars‘ nennt. Aber bei uns bleiben die roten Zahlen auf dem Bankautomaten nach jeder Prüfung gleich rot.
Anstaltwetter
Wenn aber Anstaltwetter ist, fällt keinem Patienten etwas ein. Wenn er Glück hat, ruft ein Therapeut an und fragt, wie es der Intensivgruppe geht. Wie es dem Patienten geht, interessiert ihn an diesen Tagen auch nicht besonders. Der ist nämlich sauer, dass er gerade keinen Winterurlaub hat und erst in einem Monat den nächsten Urlaub gebucht hat.