Der-Schatten des Erfolges - Cover

Die Inszenierung wurde ein Bombenerfolg und das Ensemble absolvierten etliche Gastspiele. Das brachte mich auch nach Moskau. Bei einem Empfang in der deutschen Botschaft spielten die Musiker im Garten Fußball, während Bedienstete die Alkoholvorräte auffrischten. Johannes Rau war der Gastgeber.

Das erste Album des GrubenKlangOrchester hatte einigen Staub aufgewirbelt. In Bochum nahm man das auch am Schauspielhaus wahr, wo der Regisseur Manfred Karge gerade Brecht inszenierte. Karge wollte das GrubenKlangOrchester und Georg Gräwe als musikalischen Leiter und Komponisten für eine Inszenierung von Brecht’s ‘Die Mutter’.

Die Inszenierung wurde ein Bombenerfolg und das Ensemble absolvierten etliche Gastspiele. Das brachte mich auch nach Moskau. Bei einem Empfang in der deutschen Botschaft spielten die Musiker im Garten Fußball, während Bedienstete die Alkoholvorräte auffrischten. Johannes Rau war der Gastgeber. Den hatte ich schon vorher auf dem Klo der Landesvertretung in Düsseldorf kurz kennen gelernt. Als Rau sich sichtlich erschöpft an das benachbarte Pissoir stellte, stöhnte er: „Jaja, das ist alles nicht so einfach!“ Dem konnte ich uneingeschränkt zustimmen.

Gräwe war fortan musikalischer Leiter bei fast allen Karge-Inszenierungen. Allerdings war die Besetzung des Orchesters nun an andere Gesichtspunkte gebunden. Weill und Eisler hatten beispielsweise verbindliche Instrumentierungen. Ich übernahm das betriebswirtschaftliche Orchestermanagement. Durch die Vielzahl meiner Aktivitäten hatte ich mir eine Unabhängigkeit erarbeitet, die mir in den Gagenverhandlungen zugute kam. Viele Theatermusiker wären ohnmächtig geworden, wenn sie gewusst hätten, wie hoch ich oft pokerte. Die unüblich hohen Gagen nahm man aber dankend an. Karge entdeckte noch meine schauspielerischen Talente und so übernahm ich einige kleine Rollen, was natürlich ein finanzielles Zubrot zur Folge hatte.

Die Position des Orchestermanagers behielt ich dann auch bei Produktionen mit anderen musikalischen Leitern. Das Geschäft dehnte sich später noch zum Schauspielhaus Köln aus. Bei meiner letzten Produktion in Bochum (nach den Intendanten Zadek und Peymann war nun Steckel Intendant) komponierte ich einen Vokaltitel für eine Produktion und übernahm zudem das Einsingen vor jeder Aufführung. Damit hatte sich auch mein Kampf mit dem Klavier während des Musikstudiums amortisiert.

Das Paket aus musikalischer, organisatorischer und szenischer Kompetenz verschaffte mir später noch einige sehr schöne Engagements. In Mönchengladbach schrieb ich für eine Produktion ‘Endstation Sehnsucht’ von Tennessee Williams die Musik für einen Solo-Jazztrompeter, der szenisch agierte und den ich selbst spielte. GEMA, musikalische Leitung und Vorstellungshonorar waren ein nettes Finanzpaket. Allerdings fühlte ich mich manchmal doch sehr einsam in meiner Musikergarderobe.

Da die Vorstellungstermine am Theater nicht sehr lange im Voraus geplant werden, bekam ich als mittlerweile viel beschäftigter Trompeter immer öfter Probleme mit der Terminkoordination, sodass das Theatergeschäft langsam auslief. Außerdem vollzog sich auch ein Wechsel in den Führungsetagen der Theater und die neuen Köpfe zogen auch neue Musiker mit. Peymann und Karge gingen beispielsweise nach Wien.

Fünf Jahre nach meiner Berufsaufgabe als Musiker (es hatte sich noch nicht überall herumgesprochen) wäre ich vielleicht noch am Burgtheater in Wien gelandet. Es gab dort Pläne für eine Inszenierung mit meiner Mitwirkung. Zu der Zeit saß ich aber bereits als Informationstechnologe in einem Büro am Computer.

Kommentar

Die Theaterszene hat viele Jahre meines Lebens geprägt. Auch wenn es von außen beeindruckend sein mag, mit den besten deutschsprachigen Schauspielern und Regisseuren gearbeitet zu haben, so bleibt zu konstatieren, dass das Theater eine interpretierende und keine schöpferische Institution ist. Nicht nur, dass die Honorare sehr bescheiden sind, es gab auch noch eine künstlerisch verbrämte Ausbeutungsmentalität.

Es glich fast einer Revolution, als ich einforderte, dass pauschal honorierte Proben nicht unendlich dauern können. Trotzdem arbeiteten wir zum Teil bis tief in die Nacht. Man wollte ja selbst Künstler sein und produktiven Prozessen nicht mit buchhalterischer Erbsenzählerei entgegnen. Das war ein großer Fehler! Denn die Vergütung der Leistung ist ein ganz wichtiger Faktor bei der Entwicklung eines befriedigenden Künstlerlebens. Intuition und Kreativität brauchen Raum. Raum bedeutet Zeit, die keinen wirtschaftlichen Zwängen unterworfen ist. Nicht jede Idee erweist sich als ausführbar oder rentabel. Trotzdem sollte man die Freiheit haben, sie zu prüfen. Ein ausführender Künstler ist an eine Zeit-Ertrags-Relation gebunden. Verschenkte Zeit bedeutet verschenkte Kreativitätsressourcen. Warum sollte ein Künstler etwas verschenken, was nicht seiner eigenen künstlerischen Entwicklung dienlich ist?

Bei einer kritischen Betrachtung, gehört die Theaterarbeit und alle meine kommerziellen Aktivitäten zu den Zeiten, die mir in meiner künstlerischen Entwicklung gar nichts gebracht haben. Es machte aber 80 % der Zeit meiner Musikerlaufbahn aus. Immerhin brachten sie mir Kontakte ein, die manchmal auch zu sehr befriedigenden Kunstereignissen führten. Dennoch würde ich so etwas heute nicht mehr machen, es sei denn, man kann wirklich auch gestalten, was eher selten der Fall ist. Nun muss man ja irgendwo das Geld verdienen, und das wissen auch die Ausbildungsinstitute. Deshalb propagieren sie ja auch den Jobmix, weil sie keine andere realistische Berufsmöglichkeit sehen. Ich beurteile das heute anders. Ein Kunstwerk ist bei entsprechender Qualität auch ein Wirtschaftsgut. Dieses Wirtschaftsgut unterliegt einfachen Marktgesetzen. Bei den Gagenverhandlungen mit den Schauspielhäusern wurden solche Marktgesetze offenbar. Man war weitaus geneigter, Vorstellungshonorare höher anzusetzen, als Proben hoch zu bezahlen. Proben bringen kein Geld ein! So einfach ist das. Wenn man ein Engagement bei Top-Produktionen hatte, war dieser Deal auch weitaus lukrativer. Man war aber von Erfolgsfaktoren abhängig, die man nicht beeinflussen konnte.

Ein freischaffender Künstler kann seine Erfolgsfaktoren sehr wohl beeinflussen. Besonders kann er seine Gewinnfaktoren, was etwas ganz anderes ist, beeinflussen. Dafür muss er betriebswirtschaftlich denken können. Und hier sehe ich ein großes Loch, nicht nur in der Musikerausbildung. Wenn man eine gewisse Qualität und Reputation erreicht hat, kommen auch Anfragen. Eine Anfrage schmeichelt dem Künstlerherzen, aber rechnet sich das Ganze auch? Viele Künstler jagen von einem Job zum anderen und haben letztlich weniger Geld in der Tasche, als wenn sie gar nichts machen würden. Das ist unwürdig! In unserer Verfassung ist eine Grundsicherung gesetzlich verankert, und es gibt keinen Orden für grenzenlose wirtschaftliche Dummheit. Ich gehe sogar soweit, dass so eine Dummheit auch das Hirn vernagelt und der persönlichen und künstlerischen Entwicklung Schaden zufügt. Ein ordentlicher Gewinn sollte also immer bei der Veröffentlichung einer künstlerischen Leistung gewährleistet sein. Wer so denkt, vermeidet schon mal die gröbsten Fehler.

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