Der-Schatten des Erfolges - Cover

Magic Moments nennt man Ereignisse, die zu einer bisweilen unerwarteten Intensität führen und an die sich jeder Musiker gerne erinnert. Mit Winterschladen erlebte ich einen meiner Magic Moments. Der Komponist Klaus König hatte bereits erfolgreich eine Großformation für das Jazzlabel ENJA produziert und plante nun seine internationale Karriere nach vorne zu bringen. Dafür bereitete er ein Projekt vor, das dem großartigen, englischen Autor Douglas Adams gewidmet war, der damals noch lebte.

Magic Moments nennt man Ereignisse, die zu einer bisweilen unerwarteten Intensität führen und an die sich jeder Musiker gerne erinnert. Mit Winterschladen erlebte ich einen meiner Magic Moments. Der Komponist Klaus König hatte bereits erfolgreich eine Großformation für das Jazzlabel ENJA produziert und plante nun seine internationale Karriere nach vorne zu bringen. Dafür bereitete er ein Projekt vor, das dem großartigen, englischen Autor Douglas Adams gewidmet war, der damals noch lebte.

Winterschladen war König‘s Stammtrompeter und für die Produktion engagierte er noch den wunderbaren kanadischen Trompeter Kenny Wheeler. Damit waren die Trompetenstellen des zwölfköpfigen Ensembles besetzt. Ich hatte einige Zeit vorher erkannt, dass ich noch eine Nische füllen musste, um mich langfristig in der internationalen, kreativen Szene zu etablieren. Ich fühlte mich immer schon zu den tiefen Stimmlagen hingezogen und agierte in jungen Jahren auch bisweilen als Bassist in jugendlichen Pop-Gruppen.

Als ich bei einem Jazzkonzert in der Westfalenhalle Kate Westbrook auf dem Althorn hörte, war ich von dem Klang begeistert und entschied mich, dieses Instrument meinem umfangreichen Instrumentarium hinzuzufügen. Genau diese Stimmlage fehlte König in seinem Blechsatz mit Tuba, Posaune und zwei Trompeten. Ich mühte mich redlich, die Beherrschung des Althorns stets zu verbessern. Dennoch kamen Königs schwierige Partien etwas überraschend. Glücklicherweise konnte ich mich ganz auf das Instrument konzentrieren und wenigstens musste ich mich nicht mit Ansatzproblemen herumschlagen, da das größere Mundstück im Vergleich zum Trompetenmundstück bequem zu blasen war. Nachdem ich die technischen Schwierigkeiten in den Griff bekommen hatte, wurde jedes Konzert des Orchesters zu einem Genuss. Zudem war die Besetzung erste Sahne und es machte einen enormen Spaß, mit den fantastischen Musikern zu spielen. Der Höhepunkt der Produktion war ein Auftritt beim Jazzfest Berlin 1990. Das Klaus König Orchestra spielte zur Prime Time und es gab einen TV,- Radio- und CD-Mitschnitt des Konzertes, das in der ausverkauften Philharmonie zudem ein großer Publikumserfolg wurde.

Der nächste Magic Moment spielte sich in Rio ab. Der Kölner Saxophonist Norbert Stein hatte eine Musikmarke kreiert, die sich PATA-Music nannte. Mit verschiedenen Besetzungen realisierte er unter dieser Marke Projekte. Unter dem Namen PATA Masters war eine Jazzband mit meistens 5 Musikern unterwegs. Für das Programm ‘Blue Slit‘ war ich engagiert worden. Die Masters wurden vom Goethe-Institut nach Brasilien eingeladen. Nun sind Tourneen in ferne Länder immer schon etwas Besonderes, aber das Rio-Konzert der Tour fand in einem Jazzclub im Stadtteil Ipanema statt. Von der Bühne hatte man durch die Glasfassade des Clubs eine Panoramasicht über den Strand von Ipanema. Währen des Konzertes hatte man den beleuchteten und belebten Strand stets vor Augen. Die Musik wurde zur Nebensache. Die Flöz-Hugo-Siedlung trifft auf Ipanema – ein unwirkliches Gefühl!

Es gab sicherlich noch einige Highlights in meiner Laufbahn, aber ich will nur noch ein Ereignis ausführen. Es war seltsam, ja bizarr. Gräwe’s GrubenKlangOrchester war in Nordamerika unterwegs. Im Orchester spielten der Tubist Melvyn Poore und der Posaunist Radu Malfatti. Mit den beiden hatte ich ein Programm erarbeitet, das aus Kompositionen mit vielen experimentellen Spieltechniken bestand. In einem Club in Vancouver kam es zu einem Konzert des Trios vor sehr fachkundigem Publikum. Malfatti hatte eine Komposition beigesteuert, die auf etwa 20 Minuten Spielzeit angesetzt war. Viele Teile der Komposition basierten auf Spielanleitungen und hatten genaue Angaben über die Dauer der Passage. Daher hatte jeder Musiker eine Uhr auf dem Pult liegen.

Es machte große Freude vor dem sehr aufmerksamen Publikum zu musizieren und wir waren mit großer Konzentration bei der Sache. Malfatti‘s Stück erblühte zu ungeahnten musikalischen Höhenflügen und alles verschmolz zu einer logischen Abfolge von Klängen. Als das Stück sein Ende gefunden hatte, blickte man in entgeisterte Publikumsaugen. Auch wir ahnten, dass etwas Eigenartiges geschehen sein musste. Malfatti lachte laut los, als er auf seine Uhr schaute. Das Stück hatte weit mehr als eine Stunde gedauert und keiner wußte, wie das geschehen konnte. Die Musik hatte sich in diesem Magic Moment einfach einen logischen Weg gebahnt und die Musiker fügten sich dieser Kraft.

Kommentar

Ich bin zum Zeitpunkt der Niederschrift 53 Jahre alt. Die Magic Moments haben eine tiefe Befriedigung in meiner Seele hinterlassen. Diese Befriedigung ist das geistige Brot des Kreativen. Im Idealfall, und den streben wir ja an, lassen wir den Geist nicht verhungern. Dafür braucht er aber regelmäßige Nahrung. Für ein Leben reichen keine 10 oder 20 Brote. Also müssen wir ständig kreativ sein. Gelingt uns das bei unserer Berufsausübung nicht, haben wir ein Problem. Das Problem wird umso größer, je weniger Zeit uns neben den Brotjobs bleibt. Auch Künstler müssen regenerieren, irgendwann einmal die Seele baumeln lassen. Dafür braucht man gemeinhin finanzielle Ressourcen.

Wirtschaftlich gesehen, bedeutet das, dass ein Zeitaufwand für die Ausübung des Berufes mehr als den Moment finanzieren sollte. Das ist auch gesellschaftlicher Konsens. Verwertungsgesellschaften, wie die GEMA, GVL, VG-Wort und andere, kümmern sich um diesen Aspekt. Ihre Arbeit ist besser als ihr Ruf. Sie sichern aber nur Einnahmen für einen schöpferischen Akt. Und hier beginnt die zentrale Überlegung bei der Planung eines künstlerischen Berufslebens. Bin ich in der Lage, ein Werk zu erschaffen, oder sehe ich mich als Erfüllungsgehilfe schöpferischen Geistes? Das ist keine wertende Frage, sondern die Frage eines Unternehmensprofils. Der Freelancer ist ein Unternehmer und er muss sich den wirtschaftlichen Anforderungen stellen. Jahrhunderttalente finden schon in jungen Jahren Manager, die ihnen diese Arbeit abnehmen. Sie taugen nicht als Muster.

In der Praxis läuft es tatsächlich meistens auf einen Mix der Aktivitäten hin. Dieser Mix hat aber gefährliche Klippen. Je mehr Zeit man in Brotjobs investiert, umso unwahrscheinlicher wird ein künstlerischer Erfolg. Damit schwindet auch das Interesse von Vermarktern an einem Management. Zudem ist es ein sehr indifferentes Unternehmensprofil. Solche Profile werden vom Markt meistens brutal abgestraft. Der reine Interpret ist einem Angestellten ähnlicher, als einem freischaffenden Künstler. Für ihn gelten auch ähnliche Regeln. Nicht umsonst gibt es immer wieder Streit um den Status der Vertragspartner bei den Sozialkassen. Sind das abhängige Arbeitsverhältnisse oder nicht?

Der hauptsächlich schöpferische Künstler muss viel stärker unternehmerische Prinzipien verinnerlichen. Markt, Marke und Marketing sollten keine Fremdwörter für ihn sein. Gerade in den Anfangsjahren muss er sich intensiv selbst darum kümmern. In den meisten Fällen ändert sich das auch nicht im Laufe des Lebens. Der Markt hat nur Platz für einige Stars. Das ist die Spitze des Eisberges. Qualität kann nicht schaden, ist aber nicht die wichtigste Voraussetzung des Erfolges.

Vielmehr zählt die erkennbare Haltung des Künstlers. Die Haltung wird in seinem Werk erkennbar. Dieses Werk ist seine Handelsware. Dafür muss es öffentlich angeboten werden und für möglichst viele Interessenten auffindbar und in irgendeiner Form auch käuflich sein. Erst mit dem Verkauf greifen auch die nachhaltigen Einkommensmöglichkeiten, wie Lizenzeinnahmen oder Urheberansprüche. Es hört sich so einfach an. Aber wie viele Künstler agieren auf dem Markt mit diesem Bewusstsein? Selbst wenn sie es erkennen, handeln sie oft nicht konsequent genug nach diesen Regeln. Und ‘konsequent handeln‘ bedeutet hier viel Arbeit, die nichts mit dem Schöpfungsakt zu tun hat. Das ist eine große Herausforderung, die erst den Berufskünstler vom Dilettanten unterscheidet.

Nächste Kapitel

Wo ist der Ausgang?

Ein Berufsmusiker sollte nicht zu sensibel sein. Es gibt Momente, wo man nur noch weg will. Weg von diesem Ort, weg aus diesem Leben in eine andere Dimension, wenn möglich. In meiner Musikerlaufbahn gab es einige dieser Momente.

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Kunst und Kommerz

Mit etwa 35 Jahren war ich auf dem Zenit meiner Musikerkarriere angelangt. Ich brauchte keinen Handschlag mehr für Akquise zu tun. Die Jobs kamen wie gerufen. Der Terminkalender war zum Bersten voll. Ich machte mir keine Gedanken mehr darüber, was ich eigentlich einmal wollte, sondern spulte professionell meinen ‘Dienstplan‘ ab.

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Finale

Ich begab mich darauf in ärztliche Behandlung und absolvierte nur noch bereits gebuchte Brotjobs. Die Ärzte diagnostizierten einen beidseitigen Leistenbruch als zunächst zu behebenden Schaden. Anschließend sollte ich mir eine Auszeit bis zum Winter gönnen um dem Körper Gelegenheit für eine Regeneration zu geben.

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