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Kunst und Kommerz

von | Der Schatten des Erfolges

Mit etwa 35 Jahren war ich auf dem Zenit meiner Musikerkarriere angelangt. Ich brauchte keinen Handschlag mehr für Akquise zu tun. Die Jobs kamen wie gerufen. Der Terminkalender war zum Bersten voll. Ich machte mir keine Gedanken mehr darüber, was ich eigentlich einmal wollte, sondern spulte professionell meinen ‘Dienstplan‘ ab.

Mit etwa 35 Jahren war ich auf dem Zenit meiner Musikerkarriere angelangt. Ich brauchte keinen Handschlag mehr für Akquise zu tun. Die Jobs kamen wie gerufen. Der Terminkalender war zum Bersten voll. Ich machte mir keine Gedanken mehr darüber, was ich eigentlich einmal wollte, sondern spulte professionell meinen ‘Dienstplan‘ ab. Ich stand ununterbrochen unter Dampf. Kunst und Kommerz verschwammen zu einer einzigen Soße. Es ging nur noch um Geld. Welcher Job brachte die beste Rendite?

Da musste auch mal ein interessanter Job dem Kommerz weichen. Trotzdem war ich in der Jazzszene vertreten wie nie. 1990 – 1992 landete ich einen Hattrick bei den Berliner Jazztagen, was nach der Aussage von George Gruntz, dem damaligen Leiter der Festspiele, gar nicht möglich gewesen sein sollte. Dabei spielte ich parallel auch noch auf dem Total Music Meeting, der Konkurrenzveranstaltung der Freejazz-Szene. Ich war eine Musikmaschine geworden.

Mit 28 Jahren hatte ich mein Studium beendet. Nach dem ganzen Mimikry und dem Tod meines Professors brauchte ich dringend einen mentalen Befreiungsschlag. Ich produzierte mein erstes Album als Bandleader mit dem Titel ‘Anytime‘. So sehr ich die Innovationskraft des europäischen Freejazz mit der Entwicklung zu neuen Formen und Gesetzen mochte, so sehr gab es ebenso den Wunsch, eine eigene musikalische Sprache zu entwickeln. Die LP ‘Anytime‘ konnte das unmöglich realisieren, dafür war ich noch nicht reif genug. Die Jazzkritik ordnete das Album unter Hard Bop ein. Damit lag sie gar nicht mal falsch.

Die zweite Produktion sollte der Anfang einer Trilogie werden, die sich an Texten und Szenen orientierte, also eine Art von Programmmusik war, wie die Alpensymphonie von Richard Strauss. Grundlage war ein Sciencefiction – Buch von Herbert W. Franke mit dem Titel ‘Die Kälte des Weltraums‘. Genauso hieß auch das Album, obwohl es nur vage etwas mit dem Inhalt des Buches zu tun hatte. Den zweiten Teil der Trilogie konnte ich noch realisieren. Dieses mal hatte ich eigene Texte geschrieben, die gewissermaßen den Plot von ‘Die Kälte des Weltraums‘ fortschrieb. Zu der Zeit hatte ich endlich eine eigene musikalische Sprache gefunden, die traditionelle und avantgardistische Spielelemente zu einem schlüssigen System vereinte. Zum ersten mal fühlte ich mich wohl in meiner ‘Trompeterhaut‘. Die Technik passte, der Ausdruck passte und auch der Komponist oder besser Spielleiter Horst Grabosch hörte das, was er hören wollte.

Das Album ‘Alltage‘ war mein coming out. Das war meine unverwechselbare Stimme, die auch die Mitspieler zu Höhenflügen inspirierte. Fünf Jahre nach dem Erklimmen des Erfolgsgipfels hatte auch der Künstler in mir sein Ziel erreicht. Jetzt konnte es richtig losgehen. Ich war in jeder Hinsicht gesättigt. Mein zweiter Sohn wurde geboren, wir wohnten in einer Luxuswohnung mit Garten und Fischteich, zwei neue Autos standen vor der Tür und es hagelte Anfragen aus aller Welt. Familienurlaube wurden in der Regel mit Tourneen verbunden. Freizeit war ein Fremdwort geworden. Zuerst meldeten sich Schmerzen in der Lende. Dann setzte sich eine Sinusitis fest. Es folgten Schmerzen in der linken Gesichtshälfte und ein dezenter Tinnitus gesellte sich dazu. Das waren die Vorboten eines körperlichen und seelischen Zusammenbruchs.

Kommentar

Im Kapitel heißt es: „Fünf Jahre nach dem Erklimmen des Erfolgsgipfels hatte auch der Künstler in mir sein Ziel erreicht.“ In Hinsicht auf den vorangegangenen Kommentar könnte man das als Bestätigung des gerade gegeißelten Mix-Weges sehen. Doch der Teufel steckt im Detail. Eine Berufsunfähigkeit genau zu diesem Zeitpunkt scheint auf den ersten Blick ein lediglich unglückliches Ereignis zu sein. Ist es aber nicht! Die Krankheitsbilder waren programmiert. Ich zitiere hier ein Bonmot meines medizinischen Gutachters auf die Frage nach den Ursachen meines Tinnitus, der nur ein Baustein meines körperlichen Zusammenbruchs war: „Tinnitus ist eine Reaktion. Nach ihren Erzählungen würde ich sagen, sie konnten es einfach nicht mehr hören.“ Wobei die Redewendung: „Ich kann es nicht mehr hören“, sinngemäß „Ich WILL es nicht mehr hören“, lauten müsste.

I´ve had enough – ich habe es satt! Wenn ein Künstler an diesem Punkt angelangt ist, beginnt hoffentlich eine neue künstlerische Periode. Meine künstlerische Periode dauerte aufgrund der Zeitverschwendung durch Brotjobs jedoch bereits 20 Jahre. Wo sollte es danach hingehen? Die Familie mit all dem Zirkus, den man durch die gute finanzielle Lage aufgetürmt hatte, war ein immenser Kostenapparat, der ewig schrie: „Feed me!“. Ich wusste wirklich nicht, was zu tun war. Mein Unterbewusstsein wusste es! Ich wurde kurzerhand abberufen. Ein Ende mit Schrecken ist besser, als ein Schrecken ohne Ende. Sie kennen diese Weisheit. Genauso geschah es mit mir. Natürlich kann auch der Körper eines gesunden Geistes schicksalhaften Schaden nehmen. Aber es ist gerade diese Erkenntnis, die uns konsequent handeln lassen muss.

Als Komponist hätte ich weiter schöpferisch tätig sein können. Ich war aber hauptsächlich ein interpretierender Trompeter, der hin und wieder mal was komponierte. Für eine Existenz war das viel zu wenig. Fragen sie einmal einen Komponisten, wie lange es gedauert hat, bis er von seinen Werken leben konnte. Soviel Zeit hatte ich einfach nicht. Alles war folgerichtig. Ich war de facto ein Berufstrompeter. Als solcher war ich berufsunfähig. Also musste ich mir einen neuen Beruf suchen. Alles Künstlerische schied genauso folgerichtig aus, weil man eben als Künstler eine gehörige Anlaufzeit braucht. Schluss mit Kunst als Beruf, das war der Schrecken des Endes! Fortan reagierte ich wie eine beleidigte Leberwurst. Ich wollte von Kunst nichts mehr hören. Ich strich das aus meinem Bewusstsein. Es dauerte wieder mehr als 10 Jahre, bis mir klar wurde, das das nicht funktionierte.

Nächste Kapitel

Finale

Ich begab mich darauf in ärztliche Behandlung und absolvierte nur noch bereits gebuchte Brotjobs. Die Ärzte diagnostizierten einen beidseitigen Leistenbruch als zunächst zu behebenden Schaden. Anschließend sollte ich mir eine Auszeit bis zum Winter gönnen um dem Körper Gelegenheit für eine Regeneration zu geben.

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No Music

Meine Ausbildung zum Informationstechnologen neigte sich dem Ende zu. Zur gleichen Zeit entdeckte ein kleines Team um Dr. Volkmann bei Siemens Business Services die Ressourcen unserer Ausbildungsklasse nebenan bei Siemens-Nixdorf in München-Perlach. Dr. Volkmann und Dr. Schwarz arbeiteten an einem visionären Projekt namens ‘XENIA‘, das bei Gelegenheit multimedial umgesetzt werden sollte.

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Systemabsturz und Neustart

Endlich war ich wieder kreativ. Ich merkte, dass ich kreative Arbeit brauchte, wie die Luft zum atmen. Aber noch war nicht alles ausgestanden. Die Finanzen waren ruiniert und ich nahm immer noch Psychopharmaka. Die ganze Familie litt unter der Situation. Die Familie blieb jedoch glücklicherweise intakt!

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