Eisberg und Gegenschlag
Eisberge sind ja nur zu einem ganz kleinen Teil sichtbar. Der größte Teil liegt unter der Wasseroberfläche. Du kennst ja den Ausdruck ‘Spitze des Eisbergs‘. Das ist wie bei den Versicherungen. Wenn man den Vertrag unterschreibt, hat man auch nur die Spitze des Eisbergs gesehen. Den Rest kriegt man dann später zu spüren. Meistens in Form von Nichts, wo man eigentlich Geld erwartet.
Lieber Alfred,
dieser Brief geht ja auch direkt in den Himmel, wie schon einige andere. Hast du schon ein paar Versicherungen verkauft, im Himmel. Haftpflicht für Petrus, oder so? Ich wünsche dir jedenfalls viel Erfolg. Häng nicht so viel in der Himmelsklause vom Strolka rum. Du wirst staunen, worüber ich dir heute schreiben will. Es geht um Eisberge.
Eisberge sind ja nur zu einem ganz kleinen Teil sichtbar. Der größte Teil liegt unter der Wasseroberfläche. Du kennst ja den Ausdruck ‘Spitze des Eisbergs‘. Das ist wie bei den Versicherungen. Wenn man den Vertrag unterschreibt, hat man auch nur die Spitze des Eisbergs gesehen. Den Rest kriegt man dann später zu spüren. Meistens in Form von Nichts, wo man eigentlich Geld erwartet.
Ich bin einmal heftig krank geworden, vor vielen Jahren. Da war ich gegen versichert, dachte ich jedenfalls. Aber ich habe nicht damit gerechnet, dass es mehrere Arten von krank gibt. Die Versicherung zahlt nur bei der richtigen Art von Krankheit. Muss nahe beim Tod liegen, aber nicht zu nahe, weil es sonst mit der Lebensversicherung kollidiert.
Eigentlich müsste die Versicherung ‘Nahebeimtodabernichtganztotversicherung‘ heißen. Und außerdem müsste sofort ersichtlich sein, dass du selbst im Versicherungsfall auf keinen Fall mehr Spaß an dem Geld haben wirst. Eher die Verwandten.
Aber zurück zum Eisberg. Manchmal fühlt man sich doch auch wie so ein Eisberg. Du gehst so durch die Straßen und fühlst dich wie ein Eisberg. Alle sehen nur deine Spitze, aber unter der Wasseroberfläche schlummert ein sagenhaftes Potenzial, das keiner sieht. Das richtet dich dann innerlich auf. Natürlich nur bis zu dem Zeitpunkt, bis dich einer anrempelt und sagt: „Pass doch auf, du Arsch!“
In diesem Moment ist das Unterwasserpotenzial scheißegal, weil es dir nicht helfen kann, den Kloß aus der Kehle zu holen, um zu einem Gegenschlag anzusetzen. Erst abends erschließt sich dieses Potenzial wieder, aber da ist der Typ ja schon lange weg. Jetzt hast du aber schon die ganze Wut aufgestaut und der Gegenschlagtorpedo ist perfide und wirkungsvoll zum Abschuss bereit.
Den kriegst du auf keinen Fall mehr zurück in die Waffenkammer. Das ist viel zu gefährlich. Also musst du dir ein neues Ziel suchen und ihn in einen Erstschlag umwandeln. In echten Familien eignen sich dafür Ehefrauen und Kinder oder Freunde, die zufällig gerade da sind. Als Patient hast du das schwerer, weil die Intensivgruppe zu außerordentlichen Vergeltungsschlägen in der Lage ist, die dir garantiert den Kuckuck raushauen.
Also ist es am besten, du haust dir selbst den Kuckuck vorher raus. Zwei Tetrapac Wein reichen dafür in den meisten Fällen. Danach schmilzt ein gewaltiger Teil deines Unterwasservolumens ab. Wenn sich das ein paar Mal wiederholt, tanzt deine Spitze nur noch wie ein Korken auf dem Wasser, weil unten nichts mehr ist. Du kennst das ja aus den Filmen, wenn die Haie erst mal da waren.
Als Korken auf der Straße solltest du dich ganz nahe an Häuserwänden entlang schleichen und möglichst nicht auffallen, dann geht es einigermaßen.
Diese Probleme hast du ja im Himmel nicht mehr, oder?
Nächste Kapitel
Die Jubiläumsrede
Ich male mir die Dinge ja immer schön aus, in der Fantasie. Vorfreude ist die schönste Freude! Deshalb habe ich schon mal selbst eine Rede verfasst. Du kennst das ja, wenn verzweifelte Kinder sich vorstellen, wie die Eltern an ihrem Grab fürchterlich heulen und alles bereuen. Das falsche Feuerwehrauto zum Geburtstag oder gerade die Barbiepuppe zu Weihnachten, die schon in der Spielzeugkiste liegt.
Nerven wie Drahtseile
Herrlicher Wintertag in den Dolomiten. Der Schnee liegt meterhoch und der Himmel ist tiefdunkelblau. Um meinen Hals baumelt ein ‘Alles-geht-Skipass‘ und die neue, sündhaft teure Sonnenbrille schützt meine Augen vor der grellen Sonne. Ich fühle mich überirdisch und lächle blöd vor mich hin.
Musik, Tanz und Ekstase
Ich fühle mich schon in Sicherheit, als plötzlich das Orchester verstummt. Der Körper des Dirigenten ist gespannt wie ein Flitzebogen und sein Taktstock vibriert zum Einsatz bereit in der Luft. Alle Musiker drehen sich zu mir um.